Klinischer Fall: Was ist mit meinen Ferkeln los?

Juan Grandia
08-Jul-2015 (vor 9 Jahre 9 Monate 12 Tage)

Vorbericht

Der klinische Fall trat in einem Kombibestand mit 800 Sauen auf. Die Standorte 2 und 3 liegen getrennt von Standort 1. Die Tiere werden mit Flüssigfutter gefüttert. Der Bestand ist PRRSV-positiv, aber stabil (ungleichmäßig).

Der Betriebsleiter informierte uns, dass in letzter Zeit vermehrt „ nicht normale“ oder tote Ferkel geboren wurden oder so schwach waren, dass sie innerhalb der ersten Tage nach der Geburt verendeten. Die Situation verschlechterte sich nach einem PRRS-Ausbruch. Etwa 20-30 % der Ferkel eines Wurfes waren betroffen.

Erkranktes Ferkel

Zunächst einmal stellte sich uns die Frage, was der Betriebsleiter mit „nicht normalen“ Ferkel meinte. Bei einer ersten Untersuchung konnten wir feststellen, dass die Ferkel äußerliche Fehlentwicklungen aufwiesen (Abb. 1 und 2).

Erkranktes Ferkel

 

Untersuchungen

Einige Tiere wurden im Rahmen einer Studie im Institut für Pathologie der Veterinärmedizinischen Fakultät von Saragossa (Spanien) untersucht.

Die ersten untersuchten Ferkel zeigten subkutane Ödeme und seröse Zysten in der Leber (Abb. 3 und 4).

Subkutane Ödeme

Abb. 3. Subkutane Ödeme

Seröse Zysten in der Leber

Abb. 4. Seröse Zysten in der Leber

 

Makroskopische Veränderungen

Histologische Veränderungen
 

Myokarditis

Myokarditis - Ferkel 1 Myokarditis - Ferkel 2

Desorganisation und diffuse, ballonierende Degeneration der Hepatozyten

diffuse, ballonierende Hepatozytendegeneration Diffuse Desorganisation der Hepatozyten.

 

Pathologische Diagnose:

Aufgrund dieser pathologischen Befunde leiteten wir biochemische Untersuchungen an erkrankten und scheinbar gesunden Ferkeln aus verschiedenen Würfen ein.

  Erkranktes Ferkel 1 Erkranktes Ferkel 2 Erkranktes Ferkel 3 Erkranktes Ferkel 4 Gesundes Ferkel 1 Gesundes Ferkel 2 Gesundes Ferkel 3
ALB 0 0 0 0.4 2.5 1.3 2.5
ALT 60 47 56 60 63 27 28
BIL 0.4 0.4 0.4 0.5 0.4 0.5 0.9
BUN 8 11 12 7 7 4 9
CRE 1.3 1.2 0.6 0.5 0.5 1 0.7
TP 3.2 4.4 4 4.5 6 4.9 5.3
GLOB 0 0 0 0 3.5 3.6 2.8

ALB (Albumin), ALT (Alanin-Aminotransferase), BIL (Bilirubin), BUN (Urea), CRE (Kreatinin), TP (Gesamtprotein), GLOB (Globulin).

Bei der ersten Schnellanalyse wurden bei den erkrankten Ferkeln für Albumin und Globulin Werte von 0 bzw. fast 0 nachgewiesen. Deshalb wurde ein detailliertes Proteinprofil dieser Tiere nachgefordert. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Werte zwar nicht 0, aber dennoch viel zu niedrig waren.

Erkranktes Ferkel

Erkranktes Ferkel 1 Erkranktes Ferkel 2 Erkranktes Ferkel 3

 

Differentialdiagnose

Ferkel mit subkutanen Ödemen

Bild mit freundlicher Genehmigung von Dr. Steven McOrist

Das Porcine Myocarditis Syndrome (PMC) wird durch das Bungowannah-Virus ausgelöst.

Da das Bungowannah-Virus auch zu den Pestiviren (wie das BVD-Virus) gehört und in den meisten Fällen bei Schweinen eine Kreuzreaktion zwischen den Antikörpern verschiedener Pestiviren besteht, wurden die Ferkel auf das Vorhandensein von Antikörpern gegen BVD getestet. Die Ergebnisse waren alle negativ.

Weiterhin gilt es zu beachten, dass die "nicht normalen" Ferkel sehr geringe Gehalte an Albumin und Globulin aufwiesen, allerdings die Gehalte an Alanin-Aminotransferase (ALT) im Vergleich zu gesunden Ferkeln teilweise mehr als doppelt so hoch waren. Albumin bildet etwa 35 bis 55 % des Gesamtproteins im Serum und wird in der Leber synthetisiert.

Wir gingen der Fragestellung einer Hypalbuminämie genauer nach. Eine Hypalbuminämie kann folgende Gründe haben:

Im vorliegenden Fall werden die Schweine mit Flüssigfutter gefüttert. Dabei bildet Bierhefe eine der Proteinquellen. Diese Hefe hatte einen Alkoholgehalt von 2,6‰. Die Sauen erhielten während der Trächtigkeit pro Tag etwa 2 Liter Hefe.

Da stellt sich die Frage: Welchen Einfluss kann Alkohol auf die Trächtigkeit bei Sauen haben?

In der Humanmedizin wird das Syndrom als "fetales Alkoholsyndrom" (FAS) beschrieben.

Eingeleitete Maßnahmen

Aufgrund der Tatsache, dass vor allem Würfe von Jungsauen betroffen waren, vermuteten wir, dass der Einsatz von Flüssigfutter (und damit die Verfütterung von Hefe resp. Alkohol) größere Auswirkungen auf die Jungsauen haben könnte, da die Jungsauen vorher nicht mit diesem Futter gefüttert wurden. Multipare Altsauen zeigten demnach eine bessere Toleranz gegenüber der verfütterten Alkoholgehalte aufgrund eines "Gewöhnungseffektes", da sie bereits während der vorangegangenen Säuge- und Tragezeiten mit dem Flüssigfutter gefüttert wurden.

Hefe wurde für einen Zeitraum von 6 Monaten nicht mehr in der Futterration eingesetzt, woraufhin das Auftreten "nicht normaler" Ferkel aufhörte.

 

Schlussfolgerungen

Aufgrund der Befunde beschreiben wir ein neues Syndrom beim Schwein:

Porzines Fetales Alkoholsyndrom